Der Herbst hält Einzug und eine Flut an Melancholie verfolgt uns durch diese kalten Tage. Es gibt kein entrinnen. Das müssen wir aber auch nicht. Wir lassen uns von Steingrab an die Hand nehmen und tiefer hineinziehen. Mit “Fluch der Ruhelosigkeit” ist dieses Jahr ein weiteres Werk erschienen und wir bekommen von Mahr die tiefgreifenden Antworten, die wir gesucht haben.



Viator:
Steingrab ist ein Projekt, welches nun schon seit 15 Jahren im deutschen Underground existiert. Kannst du uns ein wenig die Anfangszeiten um "Reise ins Ungewisse" erläutern? Die Demo ist bei Wolfsgrimm Records erschienen. Ein Label welches wir auch schon vor nicht allzu langer Zeit befragt haben. Steht ihr noch in Kontakt und was war damals Geralds Meinung zu deinen Anfängen?
Mahr:
Reise ins Ungewisse ist in ziemlich kurzer Zeit und ziemlich affektiert entstanden. Ich habe damals kaum Mittel gehabt und war sehr genervt von dem vielen hin und her in den Projekten, in denen ich tätig war. Es gäbe viel über dieses Album zu sagen; aber nicht so viel, was heute noch relevant
wäre. Ich war jung, einige Songs sind als Skizzen entstanden, einige davon sind sehr spontan erst bei der Aufnahme entstanden (unter anderem Einklang Reise ins Ungewisse und Schwarze Flammen).
Gerald hatte eine bessere Meinung von dem Material als ich selbst. Ich hatte kaum 2 Jahre Gitarre gespielt und mir dilletantisch das Ganze auf Grundlage einiger Riffs von Dimitri (aka Tur, Morok) selbst beigebracht. Mein Repertoire ist bis heute hörbar begrenzt. Gerald fand das Album aber gut,
weil er es für ehrlich hielt, und bot an, es auf Tape rauszubringen. Ich war skeptisch, weil ich Tapes nicht mochte, aber er behielt Recht: das Album verkaufte sich in diesem Format innerhalb von wenigen Wochen. Auch bei der Auswahl und Anordnung der Songs hat er mitgewirkt. Geralds Einfluss hat man auch auf Äon noch gehört. Er war immer ein professioneller und strenger
Zensor und hat ein gutes Gefühl für den Markt. Man könnte sagen, sein Einfluss hat die Anfangszeit von Steingrab durchaus geprägt, er hat mit mir als sehr anstrengendem Musiker mehr als professionell, auch freundschaftlich, zusammengearbeitet.Kontakt haben wir im direkten Sinne nicht mehr, ich schätze und achte ihn jedoch und weiß, was ich ihm und etwa auch Christian (Ernst) zu verdanken habe. Labeltechnisch trennten sich unsere
Wege mit Mystik, was sehr schade war. Ich denke aber, unsere Meinungen und Geschmäcker gingen ab diesem Zeitpunkt zu weit auseinander, auch wenn er mich vermutlich weiter unterstützt hätte, wenn ich stärker insistiert hätte. Aber ich glaube auch : es ist nicht einfach, jemanden zu vermarkten, der sich derartig gegen den guten Ton und sämtliche guten Sitten einer Szene, des
gesunden Menschenverstandes und des Marktes wehrt und sämtliche noch so gut gemeinten Ratschläge ganz selbstverständlich ausschlägt.
Viator:
Was ich sehr ansprechend finde, ist das du deine Musik auch auf bekannten Streaming-Seiten zum hören anbietest. Kannst du den Groll gegen diese modernen Plattformen verstehen oder findest du sie als Künstler genau so praktisch, wie als Hörer?
Mahr:
Nein, ich kann den Groll nicht verstehen. Man kann genervt sein von der ein oder anderen Wendung auf den jeweiligen Plattformen, aber ansonsten sind sie doch einfach Mittel, um Musik und Hörer zusammenzubringen. Für mich ist es wichtig, den Hörern das Hören so einfach wie möglich zu machen, mit den Mitteln, die sie selbst wählen. Ich will, dass alle einen niederschwelligen Zugang zur Musik haben, die sie hören möchten. Klar, damit wird die Musik auch konsumierbarer. Aber dafür ist sie eben da - um gehört zu werden, und Musik ohne Hörer ist eben das : nicht existent, da niemand von ihr Notiz nimmt. Und ich weiß von Steingrab, ganz rezent aber auch von Lethargie
nur zu genau, was der Faktor keiner Hörer bedeutet : es ist dann viel Luft um nichts. Wer sagt, er mache die Musik nur für sich, lügt sich selbst etwas vor. So etwas ist immer ein Fehlschlag.
Viator:
Jedesmal, wenn ich Solo-Projekte interviewe, finde ich eine Frage besonders wichtig: Warum möchtest du alles allein machen? Glaubst du, du könntest ansonsten deine Themen nicht gut genug rüberbringen?
Mahr:
Ich würde es ganz gerne nicht alleine machen. Das Problem ist nur, dass es immer wieder zu Brüchen kommt. Mir sind in den letzten 15 Jahren diverse Leute sehr unerwartet in den Rücken gefallen, was ich immer wieder nicht erwartet hatte. Ich bin extrem naiv, dafür bin ich wohl aber auch zusätzlich ein ziemlich anstrengender Mensch. Und wahrscheinlich ist es auch so, dass ich einnehmend bin in dem : was ich tue, was ich erwarte. Bei aller Einsamkeit habe ich doch eine recht genaue Vorstellung habe, was kommen muss; Stücke entstehen spontan wie die Texte, verändern sich ebenso bei der finalen Aufnahme oft vollständig. Es gibt also pragmatische Gründe aufgrund
meiner Arbeitsweise, aber auch vielleicht aufgrund meiner Persönlichkeit, ein bisschen Pech. Ich wünschte, es wäre anders; vielleicht habe ich in Zukunft einen Drummer. Aber ich habe mich auch damit abgefunden, dass es wahrscheinlich nicht so sein wird, ebenso wie mit dem Fakt, dass ich im
Prinzip kein Publikum mehr habe. Zumindest ist mein Eindruck, dass meine Musik schon lange am Hörer vorbei geht.
Viator:
Deine Songs sind selten uptempo unterwegs sondern bringen ihre Stimmung eher im konstanten midtempo rüber. Warum möchtest du das Tempo nicht anziehen?
Mahr:
Es ist seltsam, ich denke immer: jetzt schreibe ich einen schnelleren Song. Auf Malum Genesis sind schnellere Songs drauf - selbst diese wirken aber rückblickend ziemlich träge. Ich kann mir vorstellen, dass mein dilletantischer Schlagzeugstil auch den knüppeligsten Part etwas lahm wirken
lassen kann. Vielleicht ist es aber auch die Gitarre. Die Abkehr vom Licht ist so ein Kandidat. Was ich möchte, ist vielleicht gar nicht so relevant - das meiste entsteht im Fluss, das wenigste möchte ich bewusst.

Viator:
Das Schwarze Pferd sticht durch seine stark herbstlich, melancholische Atmosphäre noch einmal stark heraus. Was hat dich dazu bewegt nochmal einen mutigen Schritt noch vorne zu gehen und mehr den Klargesang einzusetzen und das Tempo fast schon ins doomige zu drosseln? Wer oder was ist das Schwarze Pferd? Für was steht es?
Mahr:
Der Klargesang hat sich als einzig passende Möglichkeit eingestellt. Das Tempo ist einem nächtlichen Galopp durch die Dunkelheit angeglichen.
Das Lied hat viele Bedeutungsebenen. Es ist nach einer besonderen Begegnung geschrieben worden, als mir wieder einmal klar wurde, dass die Zeit rennt und auch vollkommen sinnlos verrinnen kann, wenn man Chancen ausschlägt, nie den Mut hat, zu Leben, immer in Angst lebt. Das Leben ist endlich, ja, es endet und wir sterben, auch langsam, denn die Möglichkeiten nehmen ab mit dem Fortgang der Zeit. Mit fortschreitender Zeit steigt auch die Last der ungelebten Möglichkeiten, der Chancen und gereichten Hände, die man ohne Not ausgeschlagen hat, aus Schwäche oder anderem, vor allem aber doch immer wieder aus Schwäche oder Dummheit oder Unsicherheit. Mit dem entsprechenden Resultat für sich, die anderen. Zu jeder ungelebten Chance gehören zwei Verlierer. Ungelebte Potenziale aufgrund von Eitelkeit und der Angst vor Ablehnung, der Furcht davor, ein künstliches Bild, was man von sich selbst hat, aufzugeben, anstatt die Wahrheit zuzulassen.
Der Song handelt von Potenzial, dem Tod, dem Tod des Potenzials, das mit der Jugend dämmert und mit dem Ende vergeht.Das schwarze Pferd hat an sich als spezifischeres Symbol aber gleich mehrere Bedeutungen. Die Interpretation, die mir am besten gefällt, ist eine psychische Krankheit und ein Charakterzug. Es gibt viele in meiner Generation, die diesen Fluch tragen - ein Fluch der Ruhelosigkeit, etwas potenziell edles und schönes, wenn man es erkannt und ausgeprägt hat; aber fehlgeleitet doch ekelhaft und dunkel. Resultierend aus der Heimatlosigkeit in einer Welt, die immer fremd bleiben wird für die, die bestimmt dazu sind, immer auszubrechen.
Viator:
Der Song Hydra ist meiner Meinung nach einer der stärksten Black Metal Songs des gesamten Jahres. Er verbreitet eine unglaublich nachdenkliche Stimmung. Was ist die Hydra von der du hier sprichst und wessen Nähe erträgst du oder das textliche Ich hier nicht? Wer soll dich nicht allein lassen?
Mahr:
Die plakativste Ebene von Hydra ist wohl die Angst, vielleicht auch Sucht jedweder Art. Du schlägst ihr einen Kopf ab, mehrere wachsen nach. Sofern du ihr den Speer nicht durch das Herz rammst wird sie dich töten. Sie wird größer, der Verfall geht immer schneller. Das Lied teilt sich in unterschiedlichen Anteilen in generelle und persönliche Teile. Die persönliche Ebene ist sehr hart und gehört hier wohl nicht hin; generalisieren wir es: wer möchte schon alleine nicht gefunden werden? Lieber zu zweit als allein, auch wenn der oder die Partner grauenhaft und
illoyal sind, als alleine zu sein, zu sterben, wieder ohne ein Begräbnis und ohne, dass es jemand Notiz davon nimmt, ohne gefunden zu werden, ohne Grabmahl.
Viator:
Das Blumenbeet voller trister Farben vermittelt dem Hörer eine schöne Botschaft. Du sprichst über Individualität und das endlose Streben nach gleichförmigen Perfektionismus. Kannst du uns hier etwas deine Gedanken zu diesem Text preisgeben und was du im Detail mitteilen möchtest?
Mahr:
Es ist finde ich der traurigste Song. Ich habe ihn in meiner Zeit in Mainz geschrieben, als ich Umgeben von immenser Härter war und selbst in solcher gelebt habe. Das Lied geht um das Streben nach Gleichförmigkeit als Auslöschung der Individualität, die Aufgabe der Identität, um geliebt zu werden, um den Verlust des eigenen Zuhauses. Darum, dafür alles aufzugeben und sich für einen Krümel vom Glück vollständig anzupassen.
Es geht um Zwang : sei schön, sei konform und sei so, wie es der Zeitgeist will. Am Ende bleibt ein Heer gleichförmiger Blumen, angepasst,
ohne Meinung und Unterschied und ihrer Identität beraubt - unter einer kalten, gleichgültigen Sonne(der Gesellschaft). Da keine von ihnen mehr mutig genug oder im Stande ist, unabhängig zu denken, bleibt nur eine diffuse Erinnerung an das, was einst war : ein wildes Feld, doch nun gerodet
zugunsten konsumierbarer und vollkommen austauschbarer Massenprodukte. Mach dich hübsch, vielleicht benutzt dich jemand für einen Moment, um dir die billige Kopie von Liebe vorzugaukeln, da Liebe wie alles relativ und teilbar ist. Ein Heer gleichförmiger, wertbefreiter und grenzenlos eogistischer Produkte des Kapitalismus, in vermeintlicher Freiheit einer dummen und nicht zuende gedachten, angeblich fortschrittlichen Ideologie, die sich als kapitalismuskritisch bezeichnet. Sozialistische Massenprodukte, die sich gegenseitig konsumieren. Vertrocknet eine Blume: egal, es gibt genug Ersatz. Sie alle schauen in die gleiche Richtung, keine wagt es, zu hinterfragen, sie sind schließlich zweifelsohne alle auf der richtigen Seite. Aber was, wenn alle kollektiv irren? Das Blumenbeet ist das unterliegende Symbol für eine sinnentleerte Gesellschaft ohne Vergangenheit, ohne Zukunft; das alte ist tot, genug Platz für neues, aber das Neue hat keine Substanz. In einer weiteren Bedeutungsebene geht das Lied um Menschenhandel und Prostitution.
Unabhängig davon besitzt es eine musikalische Widmung in Form eines Themas am Ende an jemanden, der mir nahe steht.
Viator:
Die letzte Frage ist eigentlich eine rein egoistische: Planst du eventuell irgendwann mal ein Tapeboxset aller deiner Alben? Es gibt wahrscheinlich nichts, was sich ein Fan mehr wünschen könnte.
Mahr:
Etwas derartiges ist leider nicht in Planung. Ehrlicherweise muss man sagen, dass hierfür auch schlichtweg zu wenig Interesse an meiner Musik besteht. Wie oben erwähnt glaube ich, dass ich möglicherweise an der Masse vorbei produziere. Ich war stets bemüht ~
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